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Whisky, Fido, Mona, Sabine und Toni

Leseprobe Kapitel 1 (17.August 2008)

E-BOOK LESEPROBE

"EUROPATOUR AUF 4 PFOTEN" 


17. AUGUST 2008
Warum muss ich denn immer so früh aufstehen? Denke ich, während ich aus dem Haus gehe. Wahrscheinlich, weil ich ein verdammter Frühaufsteher bin. Ich habe nur wenig und unruhig geschlafen heute Nacht. Deshalb bin ich froh, dass es endlich hell ist, damit der Tag beginnen kann.
Der große Tag! Der Besondere unter den Wichtigsten im meinem Leben. Zumindest hoffe ich, dass es einer der Wichtigsten werden wird. 

 

Es ist windstill, die Vögel zwitschern, die Sonne scheint mir schon ziemlich warm ins Gesicht und ein zarter Blütenduft streichelt sanft meinen Geruchssinn.
Ich bin im Paradies, vielleicht bin ich noch gar nicht wach und ich träume einen wunderschönen Traum! Aber mein Haus steht nun mal auf meinem kleinen Grundstück und das befindet sich auf der Halbinsel Salento, der südlichere Teil der Region Apulien in Süditalien!
In der Campagna inmitten uralter Olivenbäumen umgeben von zwei Meeren, der Adria im Norden und dem Ionischen Meere im Süden. Das ist sehr wohl das Paradies.
Aber plötzlich wird mein poetischer Rauschzustand abrupt durch ein Beben gestört, dass mit einem unheimlichen und angsteinflößenden, dumpfen Geräusch begleitet wird. Es erinnert an eine wild gewordene Bisonherde, wie es in einigen Western-Filmen von Sergio Leone vorkommt und es hört sich an, als ob sie auf mich zukommt.
Ich meine, diese Bestien kommen auf mich zu! Sie kommen um die Ecke. Es sind vier. Meine Hunde! Meine geliebten Hunde, die durch mich wach geworden sind. Nun begrüßen sie mich stürmisch wie jeden Morgen. Und die gefürchteten Bestien verwandeln sich in liebeshungrige, aber gleichzeitig liebesspendende Wesen.
Whisky räkelt sich am Boden vor meinen Füßen, Fido zappelt und springt mich an, während Mona sich sanft an meine Beine schmiegt und Balto wie ein Irrer um mich herum springt. Es ist immer das gleiche Bild „...und täglich grüßt das Murmeltier“. 

 

 

"Ist ja gut. Das reicht jetzt. Hört auf damit."
Aber es ist so als ob man mit einer Wand spricht, die wissen doch ganz genau, dass ich das gar nicht so meine und machen mit ihren Spiel weiter.
Ich versuche zum Zwinger zu gelangen, dort, wo sie ihren Schlafplatz haben, um nach dem Trinknapf zu sehen. Der Weg dorthin ist jedoch vergleichbar mit der afrikanischen Savanne, überall lauern Löwen, Tiger und Pumas und alle sind auf der Pirsch. Sie erwarten die allmorgendliche Ration Leckerli.
Meine sechs Katzen miauen, fauchen und schleichen um mich herum.
Kein Schritt von mir bleibt unbeachtet. Keine Handbewegung wird aus den gierigen Augen gelassen, bis sie allesamt Hunde und Katzen, das bekommen was sie haben wollen und ihnen wie es scheint, auch rechtmäßig zusteht.
Es sind ausgesetzte Tiere, die keiner haben wollte. Als Welpen einfach auf der Straße ausgesetzt und dem eigenen Schicksal überlassen. Jeder von ihnen könnte eine herzzerreißende Geschichte erzählen.
Unser Grundstück ist gerade mal 1000 qm klein. Wir haben es komplett umzäunt, einen kleinen Zwinger mit überdachten Schlafplätzen für die Tiere gebaut und ein kleines Häuschen für uns. Das haben wir selbst mühselig Stein für Stein hochgezogen. Nichts Besonderes, aber für uns und unsere Tiere ist es ein bescheidenes, kleines Paradies!
Oh! Da kommt auch Sabine aus dem Haus, meine Lebensgefährtin aus München, und das Spiel geht von vorne los. Streicheln, zappeln und betteln um die zweite Portion Leckerli.
Seit wir vor etwa sieben Jahren München verlassen haben, um hier in Süditalien zu wohnen, haben wir Hunde und Katzen immer wieder von der Straße geholt, adoptiert oder weiter vermittelt. Es ist unglaublich wie viele ausgesetzte Tiere es hier gibt.
Wir wollten uns nur um die Welpen kümmern, denn die haben in der Freiheit nur minimale Überlebenschancen. Aber irgendwann mussten wir kapitulieren, denn wir hatten weder Platz noch die finanziellen Mittel, um weitere herrenlose Welpen zu übernehmen.
Die örtlichen Tierheime sind hoffnungslos überfüllt und überfordert. Die Folge ist eben viele frei laufende Hunde und Katzen, mit allen ihren dramatischen Folgen. Die Meisten werden zwar von den Bewohnern notdürftig mit Speiseresten gefüttert, aber Geborgenheit, Streicheleinheiten und die wichtige tierärztliche Unterstützung bleiben natürlich ganz aus.
So kommt es, dass die Meisten von ihnen von Krankheiten geplagt sind und nur kurz und gefährlich leben.
Wir haben uns oft gefragt, wie wir das Problem lösen oder zumindest lindern könnten.
Lange haben wir uns über Bücher, Internet, Fachzeitschriften und sonstige Quellen informiert und recherchiert.
Dabei kamen wir zu dem Ergebnis, dass das Problem der ausgesetzten Tiere, ein internationales Phänomen ist und nicht "nur" ein örtliches, wie wir in naher Zukunft feststellen sollten.
So ist uns klar geworden, dass wir den Kampf an der Quelle beginnen sollten. Also von dem Zeitpunkt an, an dem der Gedanke entsteht, sich ein Tier anzuschaffen.
Die meisten Tiere werden ausgesetzt, weil ihre Halter sich keine Gedanken machten über die Folgen, Pflichten, Zeit und Platz einer Tierhaltung.
·         Was also können wir tun?
·         Auf die Straße gehen und lautstark die Menschen anreden:
"Setzt doch die Tiere nicht aus!”?
·         Oder die Behörden anschreiben?
·         Unterschriften sammeln?
·         Broschüren verteilen?
Nein, ich glaube, das würde nicht so recht den erwünschten Effekt erzielen. Man würde auf taube Ohren stoßen und wahrscheinlich nur wenige damit erreichen!
Nun, wir hatten eine Botschaft und die wollten wir an den Mann bringen. Nur wie?
Sicher hatten wir viele interessante Ideen, aber die meisten davon waren schier unmöglich durchzuführen.
Für einen Sänger oder einen Prominenten ist es leichter seine Botschaft, seine Gedanken an die breite Masse zu bringen. Wir aber sind ganz gewöhnliche Leute. Wir sind nicht prominent, haben keinen Doktortitel, haben nichts mit der Politik zu tun, stehen nicht im Rampenlicht und sind obendrein keine Fachleute und auch noch mittellos. Wer würde da auf uns hören? Wer sind wir schon?
Ist das aber ein Grund, um nichts zu tun? Wir wollten und konnten nicht einfach dasselbe sagen wie so viele Leute:
"Man kann nichts machen. So ist es eben."
Nein, das war uns einfach zu wenig, zu gemütlich. Wir wollten das Herz der Menschen erreichen, ihnen ins Gewissen flüstern und um das zu schaffen, musste etwas Originelles her. Etwas, womit man immer auffällt. Keine Eintagsfliegen-Aktion. Man würde zu schnell in Vergessenheit geraten.
Wir wollten etwas Langfristiges, etwas Außergewöhnliches, Grandioses vollbringen. Etwas, womit man die Leute zum Nachdenken animiert.
Medien inbegriffen, die ganz besonders. Hauptsache man redet über uns, über die ungewöhnliche Aktion und letztendlich über unsere Botschaft.
So wurde die Idee von der
"Europatour auf 4 Pfoten" geboren
(Giro d'Europa a 4 Zampe).
Es geht dabei um eine Protestfahrt mit dem Fahrrad, über eine sehr lange Zeit, um eine große Streckendistanz zu absolvieren. Eine Europarundfahrt.
Durch zehn EU-Länder mit unseren ehemals ausgesetzten Hunden.
Eine Protestaktion der besonderen Art. Dabei wollten wir versuchen, so zu leben, wie die ausgesetzten Tiere!
Das war der Clou der Sache. Eine geniale Idee, die wir nun in voller Euphorie umsetzen wollten, auch wenn uns viele Leute für verrückt hielten:
·         Ihr seid doch bekloppt“,
·         Ihr fahrt regelrecht in euer Verderben“ oder
·         Ihr werdet sowieso nichts erreichen!“.
Solche, oder ähnliche Äußerungen haben wir schon oft uns anhören müssen. Ich meine, manche haben auch Recht. Würde wirklich jemand bei klarem Verstand eine einjährige Tortur-Fahrt durch Europa ohne Geld, auf sich nehmen?
Wo doch die Chancen gut stehen, umzukommen oder zumindest schwer verletzt zurückzukehren.
Die Welt wäre nicht so weit fortgeschritten, wenn alle Pioniere, Entdecker, Abenteurer und Erfinder nicht für ihre Ideale, gekämpft hätten. Warum Menschen immer wieder so etwas tun, kann keiner beantworten.
Wir wollten nur versuchen etwas zu bewegen.
Das Projekt musste nur richtig bedacht und akribisch organisiert werden. Natürlich musste auch das notwendige Training für Mensch und Tier absolviert werden. Man kann nicht einfach, so mir nichts - dir nichts, eine derartige schwierige Reise unternehmen.
In einem Punkt hatten wir Glück. (wenn man das so sagen kann) Wir brauchten unser Arbeitgeber nicht nach einer Freistellung zu fragen.
Aus dem einfachen Grund, wir hatten keinen Boss!
Wir gaben schon im Januar 2003 unsere gut bezahlten Jobs, die Wohnung und die „Sicherheit“ des normalen spießigen Großstadtlebens in Deutschland auf.
Wir sind aber trotzdem keine Aussteiger, zumindest nur bedingt.
Sabine wollte, dass ihre Oma die letzten Jahre ihres Lebens in einem warmen Urlaubsort verbringen sollte und nicht in irgendeinem netten Seniorenheim, oder wie heißen sie heute so schön? „Betreutes Wohnen“.
So oder so, sie war der Meinung – ich übrigens auch – dass diese Orte nur der Vorhof zum Friedhof seien.
So beschlossen wir damals, eine Patchwork-Familie zu gründen, Oma, Sabine, meine jüngste Tochter Desireè, damals acht Jahre jung und ich.
Wir packten die Möbel in einen Siebentonner und begaben uns in eine neue Zukunft. In eine neue Art zu leben, in vielerlei Hinsicht, eine bessere, gesündere und stressfreie.
Übrigens den Whisky nahmen wir als Welpen aus München mit, denn sein Frauchen wollte ihn ins Tierheim abschieben.
Ja so kamen wir damals hierher, wurden sozusagen Saisonarbeiter.
Wir fuhren abwechselnd Taxi in München und verdienten so unser Brot.
Bis die mittlerweile neunzig jährige Oma auf der Treppe stürzte und anschließend erkrankte.
Sabine pflegte hingebungsvoll und mit viel Liebe ihre bettlägerige Oma für mehr als ein Jahr, bis sie dann im Februar 2007 leise von uns ging.
Um die Trauer zu übertönen, brauchte sie eine neue Herausforderung, eine starke Ablenkung, da kam das Konzept der Europatour ihr ganz gelegen.
Mit langen Radtouren habe ich Erfahrungen. Sie sind für mich nichts Neues. Ich habe unter anderem schon 2006 eine 13.300 km lange Tour durch elf europäische Länder im Alleingang und in nur fünf Monaten hinter mich gebracht.
Mir war selbstverständlich klar, dass die bevorstehende neue Reise doch etwas komplizierter und delikater war, als mein „ein-Mann-sonst-Niemand-Tour“.
Allein schon die Präsenz der Hunde und die meiner Partnerin, war schon eine Herausforderung hoch zwei wert. Es waren prinzipiell andere Kriterien zu berücksichtigen. Das war natürlich ein riesiger Ansporn für mich, keine Frage! Aber allein schon der Gedanke, doch was für unsere tierischen Freunde und folglich auch für uns selbst tun zu können, war schlicht und einfach verlockend. Jetzt oder nie hieß die Devise.
Sabine war anfangs sehr skeptisch, die Radtour überhaupt zu schaffen, denn sie sah sich nicht so recht in der Rolle des sportlichen Typus. Bedenken hatte sie genügend, gerechtfertigte Ängste und Sorgen auch.
Sie stimmte erst zu, als ich ihr erklärte, dass es bei diesem Vorhaben nicht um einen Wettkampf geht, sondern auf die Ausführung einer sich langsam bewegenden Sensibilisierungsreise.
Durchhaltevermögen, Verzicht, Entschlossenheit, Geduld und Kampfgeist seien gefragte Eigenschaften und die Zutaten mit denen wir auffallen sollten, um unsere Botschaft zu verkünden.
Keiner der Beteiligten sollte über die eigenen Kräfte hinaus gezwungen werden. Niemand sollte sich durch irgendwelche Leistungsverträge verpflichten. Keine strikte Zeitprogrammeinhaltung.
Aber wir brauchten trotzdem Fremdhilfe, Unterstützung, Sponsoren.
Doch letztendlich ist der Unterschied zwischen Vorstellung und Planung eines jeden Projektes, und die Realität und das Ausführen des Selbigen, oft sehr groß. Man stößt immer auf neue Probleme, Faktoren, die auf ungeahnte Folgen führen können.
Irgendwie benehmen wir uns heute Morgen anders als sonst.
Das fühlen die Hunde. Manchmal habe ich echt das Gefühl, in ihren Blicken einen menschlichen Ausdruck zu sehen.
Ich glaube, sie spüren, dass das hier kein Spiel ist, sondern ein Abschied.
Wir spielen zum Beispiel mehr mit den Katzen. Denn sie sind es, zusammen mit Balto, die hier bleiben werden.
Mit meiner Schwester Lucia und ihrem Mann Salvatore ist alles schon abgesprochen. Sie werden sich um die Tiere kümmern, die hier bleiben. Obwohl wir wissen, dass sie in guten Händen sind, machen wir uns trotzdem Sorgen.
Außer um uns selbst, machen wir uns auch Sorgen, um die, die mitkommen. Werden sie eine so lange Reise schaffen? Wird alles gut gehen? Werden sie oder wir, gesundheitliche Probleme bekommen?
Das und noch vieles mehr geht uns beiden jetzt durch den Kopf.
Berechtigte Sorgen, die man nicht einfach unterdrücken kann.
Es ist nicht so, dass ich Zweifel an unserer geplanten Unternehmung hätte, aber so kurz vor dem Start sind meine Nerven doch etwas gereizt.
Wir, besonders ich, tragen eine sehr große Verantwortung. Die Reise an sich haben wir zwar gut, sorgfältig und lange geplant.
Alles durchdacht, die Route, die Logistik, Pannen, Gesundheit, Wetter, Temperatur, Winde, die Pfoten der Hunde, Proviantbeschaffung, die Übernachtungen und vieles mehr.
Aber das bedeutet nicht, dass man sich zurücklehnen kann. Im Gegenteil. Jetzt kommt Lampenfieber auf, oder so was ähnliches. Jetzt kommt der "Sprung ins kalte Wasser".
Jetzt machen wir Ernst. In etwa einer Stunde geht es los. Wir wissen nicht, was uns erwartet.
Sabine hatte Europa noch nicht richtig gesehen, nur von einem Lastwagen aus. Bevor wir hierher kamen, sind wir gemeinsam etwa zwei Jahre mit einem Vierzigtonner durch Europa gedonnert, teilweise waren es Schwertransporte oder Tiefkühlfahrzeuge.
Ich dagegen hatte schon 25 Jahre LKW-Praxis unterm Arsch.
Sicher hatte sie zwar schon mal hier und da Urlaub gemacht, aber Hotelaufenthalte seien nun wirklich nicht mit dieser Reise zu vergleichen. Das wird ein schönes Gefühl sein, unter dem weiten Sternenhimmel zu campen. Orte zu besuchen und Menschen kennen lernen, die sie im Normalfall nie und nimmer treffen würde.
Sich mit ihnen sogar über ein gemeinsames Anliegen zu unterhalten.
Der Gedanke an die Landschaft, die Menschen und ihre Geschichte, weckte in ihr starke Emotionen. Ein unbeschreibliches Gefühl!
Oh mein Gott. Es geht los! Mir zittern die Knie. Wir fahren durch Europa!“
 verrät sie mir, mit einer leicht zittrigen Stimme.
Ist dir eigentlich klar was das bedeutet, mein Schatz?“
füge ich noch hinzu. Ein breites Grinsen zeichnet sich auf ihr vor Freude strahlendes Gesicht.
In einem euphorischen Moment versuchen wir uns gemeinsam vorzustellen, wie es sein wird an der französischen Riviera zu fahren, der spanischen Costa Blanca, oder Portugal, das für Sabine völlig unbekannt war.
Wie es wohl sein wird durch die Algarve zu radeln, durch Galizien in Nordspanien, das Loire Tal in Frankreich oder an den vielen Kanälen in Belgien und Holland.
Die schönsten Hauptstädte und Urlaubsorte zu durchqueren, mit vielen Menschen über unser Anliegen reden, an welchen unglaublich spektakulären Plätzen wir übernachten werden.
An die möglichen Probleme und Gefahren wollen wir in diesem schönen Augenblick nicht denken. Das verdrängen wir bewusst, um uns dieses wohltuende Gefühl nicht kaputt zu machen.
Die Realität holt uns wieder ein. Haben wir alles eingepackt? Nichts vergessen? Wo ist was? Wer hat wo dieses und jenes?
Während des Frühstücks gehen wir alles noch mal durch.
Als wir gestern inmitten eines Chaos von Packtaschen, Ausrüstungsgegenständen, Ersatzteile und hunderterlei Kleinkram standen, sagte Sabine zu mir:
Mir ist rätselhaft, wie du all das Zeug einpacken und mitnehmen willst.“
Mit Akribie und Routine eines Buchhalters bewältigte ich im Hand umdrehen diese Aufgabe. Schließlich mache ich so was ja nicht zum ersten Mal!
Gewürze, Zucker, Öl und Kleinstgegenstände kommen in Beutel oder Plastikbehälter. Gepackt habe ich so, dass jeder weiß, wo was zu finden ist. Doch meine Erfahrung suggeriert mir, dass es nicht immer so reibungslos klappen wird. Wir werden sehen.
Hauptsache man findet die wichtigsten Dinge schnell, ohne dass man alles auspacken muss. Aus diesem Grund haben wir uns die Utensilien, die am Meisten gebraucht werden, geteilt. Jeder führt bestimmte Sachen in seinen Taschen mit. Gott, haben wir lange geprobt, bis alles gepasst hat.
Sabine hat natürlich ihren "Monchhichi" dabei. Sie hat ihn in ihrer Lenkertasche verstaut. Monchhichi ist eine kleine, niedliche Affenpuppe mit großen Ohren und einen Plastikkopf. Ohne den Monchhichi wagt sie sich auf keine Reise. Das geht nicht. Er ist ihr persönlicher Glücksbringer! Mit Hosenträger, Kappe und einen Lächeln im Gesicht wirkt er sehr sympathisch und man schließt ihn schnell in sein Herz ein. Er sieht noch ziemlich jung aus, obwohl sie ihn schon seit Jahrzehnten durch die Welt trägt.
"Es wird heute bestimmt wieder sehr warm werden. Wir sollten uns beeilen!"
Ich sperre das Haus ab, mache einen letzten Kontrollgang durch das Anwesen. Toilette aufsuchen, Trinkwasserflaschen voll machen, technischer Check. Am besten kurze, aber intensive Lebe-wohl-Geschichten mit Balto und den Katzen. Von der Familie haben wir uns gestern schon verabschiedet.
Alles geht jetzt schnell, die Hunde sind an den Rädern am Springer angeleint und schon ganz aufgeregt. Die Karawane heizt sich ein, die Uhr tickt.
 

Jetzt geht es los!
Es ist der 17.August 2008, genau 8.00 Uhr.
Die lange, ungewisse Abenteuerreise beginnt. Wir werden über ein Jahr von zu Hause weg sein. Verdammt ist das lang!
·        Werden durch zehn EU-Länder fahren.
·         Etwa 12.000 Km liegen vor uns,
·         14 Monate ungewisse Zeit auf der Straße.
 Wer weiß, was alles passieren wird. Wir wissen es nicht, sind aber fest entschlossen, dieses ungewöhnliche Abenteuer durchzuführen. Wir werden unser Bestes geben und versuchen durchzuhalten. Selbst wenn das Unternehmen viele fragwürdige Aspekte verbirgt, wollen wir trotzdem mutig die Sache angehen, und nur nach vorne schauen.
Aber gerade eben schauen wir noch ein letztes Mal zurück auf unser Grundstück. Dort, wo unsere kleinen Freunde traurig zusehen, wie wir uns immer mehr von ihnen entfernen. Es ist traurig und aufregend zugleich.
Die Mona, ein Schäferhund Mischling, läuft vorne bei Sabine mit. Fido, der japanische Spitz und Whisky, der Kleinste der Gruppe, zerren bei mir am Walky-Dog. Alle ziehen wie verrückt. Es ist unglaublich mit was für einer Begeisterung sie sich nach vorne bewegen. Es erinnert mich ein wenig an Schlittenhunde. Wir dagegen haben noch leichte Probleme mit der Balance.
Die vollgepackten Räder und Wägelchen gerade zu halten erfordert höchste Konzentration. Man muss sich vorstellen, beide Räder beladen mit Seitentaschen hinten und vorne, jeweils zwei Gepäckträger mit sperriger Ladung bespannt.
Die Wägelchen auch beladen bis oben hin und das Gezerre der Racker kommt dazu. Das bedarf einer gewissen Übung. Da kommt man schon etwas ins Wanken. Wie nach einer Sauftour.
Und das Ganze auf dem holprigen Feldweg, der vom Grundstück zur Landstraße führt. Es dauert nicht lange, nach etwa 300 Meter sind wir auf der geteerten Landstraße, die über die Bahnschranke zum Ort Matino führt.
Es ist Sonntag, daher sind sehr wenige Leute unterwegs und die Bürgersteige immer noch hochgeklappt.
Die Abfahrt ist also in aller Diskretion passiert. Das ist von mir so gewollt. Den Grund dafür werde ich zu einem späteren Zeitpunkt ansprechen.
Die Fahrt durch den Ort verläuft ziemlich unspektakulär. Am Rathaus und an einigen Bars zieht unsere Karawane fast leise vorbei. Auf dem Kopfsteinpflaster der Altstadt wird es recht holprig.
Ein paar Leute, die draußen vor den Bars stehen, schauen etwas verdutzt. Einige lächeln, andere wirken regelrecht überrascht, denn wir sehen wirklich außergewöhnlich aus.
Wir ziehen förmlich die Blicke an und schließlich ist es genau das, was wir wollen. Die Aufmerksamkeit auf uns lenken und das tun wir bereits.
So verlassen wir Matino, den Ort, in dem ich geboren bin. Die ersten 10 Jahre meines Lebens verbracht habe, bevor ich meinen Eltern im November 1971 nach Deutschland folgen musste.
Den Ort, der mir eigentlich nichts gegeben hat. Aber was soll ein Ort um Gottes Willen geben? Ich bin hier geboren, ich habe hier meine Verwandtschaft und meine Freunde. Ich habe hier meine Kindheit verbracht, ging in die Grundschule. Hatte nichts und doch alles.
Was soll denn ein Ort geben? Was erwarten wir eigentlich? Wenn man hier die Leute so über ihn reden hört, dann ist er auch nicht anders als andere Orte in Deutschland oder in Spanien, in Polen, in Argentinien, in Mexiko oder sonst wo.
Die Aussagen sind gleich oder ähnlich.
·         Hier ist nichts los.
·         Die Politiker denken nur an sich.
·         Zu hohe Arbeitslosigkeit.
·         Schlechte Straßen,
·         Woanders ist es besser.
·         Man kann hier nichts ändern,
·         und dieser Ort gibt mir nichts...
Also ist Matino nicht schlechter und nicht besser als alle anderen Orte dieser Welt. Mit einer einzigen Ausnahme.
Ich liebe ihn, seit ich denken kann.
Und das Komische ist, ich weiß nicht warum. Nein, ich weiß es nicht! Deswegen habe ich wahrscheinlich schon oft versucht, hier etwas im positiven Sinn zu ändern. Bin aber leider immer an einer großen Hürde gescheitert, der Mentalität. Und die ist hier so tief in den Köpfen der Menschen verankert, dass man meint, gegen einen Riesen zu kämpfen, den man unmöglich besiegen kann. Anderseits, warum sollte man die Mentalität der Leute "Positiv" verändern?
Definiere Positiv? Ist es vielleicht wie ein großer Baum, der schon viele Jahrzehnte auf einem Hügel gewachsen ist. Bis irgendein Mensch kommt und ihn woanders verpflanzen will, weil er der Meinung ist, dass dieser es dort besser haben wird? Ist es das?
Vier Kilometer sind wir erst durch und schon kommt die erste Pinkel-Pause für Mensch und Tier. Ich glaube, dass ich eine gewisse Zeit brauchen werde, um mich an diese, für mich neue Situation, zu gewöhnen. Ich darf nicht vergessen, dass eine Frau mit von der Partie ist. Die Wahl des „stillen Örtchens“ ist und wird immer eine Qual sein.
Eine Tatsache, die man(n) nicht immer verstehen kann und muss. Wie auch immer. 
 

Mehr Leute sehen wir erst in Tuglie auf der Piazza, wo sich das Bar Volk und die Kirchgänger treffen, um über Fußball, Politik und den neuesten Klatsch der Nachbartochter zu diskutieren.
Auch hier erwecken wir Aufsehen als wir langsam durch die verdutzte Menge fahren. Manche drehen sich zweimal nach uns um.
Ein junger Mann eilt blitzschnell in eine Bar, um die anderen lautstark zum Rauschauen aufzufordern. Einige Passanten bleiben stehen und schauen regelrecht mit offenem Mund. Andere freuen sich und lächeln uns spontan an. Die Reaktionen sind wirklich verschieden.
Wir bleiben mitten auf den Platz stehen und platzieren unser Gespann vor der imposanten Kirche. Und zwar so, dass uns jeder sehen kann. Kaum haben wir die Radständer ausgestellt und die Hunde zum Sitzen gebracht, nähern sich schon die ersten mutigen Neugierigen.
Erst betrachten sie mit fragenden Blicken die Gespanne mit den Hunden, dann lesen sie die Plakate mit den Informationen, die an beide Hänger kleben, und schließlich nimmt ein älterer Mann Kontakt mit den Außerirdischen auf:
"Ciao, wo kommt ihr her?"
Und nun beginnt unsere Arbeit. Ich erkläre den Leuten, dass wir zu einer Europaradtour gestartet sind, um auf das Problem der ausgesetzten Tiere aufmerksam zu machen. Der Neugier sei Dank, nähern sich mehr Leute während ich erzähle. Gleichzeitig erfahren wir die ersten Reaktionen.
Die sind hier Positiv, wie beruhigend. Das spornt uns natürlich an.
So bildet sich in kurzer Zeit ein Menschenkreis um uns und jeder möchte sich dazu äußern.
·         Jemand erzählt von seinem Nachbarn, der seinen Hund misshandelt.
·         Ein anderer von den streunenden Hunden in seinem Viertel.
·         Andere haben Fragen zu unserer Reise,
·         ein paar junge Leute interessieren sich für unsere Räder.
Das ist es, genau das ist es, was wir wollen. Wir haben die Menge versammeln können und dazu gebracht, über unsere Botschaft nachzudenken. Darüber hinaus den Gesprächsstoff geliefert, den die Leute weiter geben werden, wenn sie anderen erzählen, dass sie uns getroffen haben.
Also ich finde, für den ersten Impact mit dem ersten Publikum ist es wahrlich kein schlechter Erfolg.
So wie bei der Zellenteilung, so teilt sich die Menge und es bilden sich Gruppen. Es werden heftig pro und kontra Gespräche geführt, diskutiert und gestikuliert. Man kennt es ja von den Italienern, die Hände haben ein besonderes Mitspracherecht.
Nach einer Weile lösen wir uns langsam und geschickt von der Diskussionsrunde mit einer Ausrede ab, lassen die Hunde trinken und machen uns klar zum weiter-ziehen. Hier ist unsere Arbeit erledigt, wir haben genug angestiftet. Wir steigen auf die Fahrräder, verabschieden uns von den Leuten, die uns Glück und Erfolg auf unserer Reise wünsche und verlassen die Piazza winkend.
Das ist schön. Wir haben ein sehr gutes und beruhigendes Gefühl dabei. Sind froh, dass der erste Halt in der ersten Stadt, ein Erfolg war. Wir konnten die ersten Zeichen setzen. 

 

Holprig geht es auf dem Kopfsteinpflaster wieder weiter aus der Altstadt in Richtung Sannicola. In den teilweise sehr engen Gassen können uns die Autos nicht überholen. So staut es sich etwas hinter uns, aber keiner regt sich wirklich auf. Und ich bin sehr positiv überrascht über den respektvollen Abstand, den die Autofahrer außerhalb der Stadt, beim Überholen des Fahrrad-Konvois einhalten.
Im Dörfchen San Simone legen wir eine kurze Trinkpause ein. Es ist sehr heiß. Mein Temperaturmesser zeigt 33 Grad an! Im Schatten wohl bemerkt. Die Hunde sind diese hohen Temperaturen gewohnt.
Sie sind hier im Salento aufgewachsen, wir haben lange bei diesen Temperaturen trainiert. Wir lassen sie auch nicht rennen. Sie sollen nur traben. Nur so schaffen sie mit einer gewohnten Leichtigkeit das Tagespensum von etwa 30 km, ohne sich dabei zu übernehmen. 




Die Region, in der wir uns befinden, heißt Salento. Das ist die berglose Halbinsel von Apulien in Süditalien. Die wichtigste Ortschaft ist die Provinzstadt Lecce, auch das Florenz des Südens genannt, wegen ihrer barocken Gebäude und Kirchen.
Otranto ist eine kleine schöne Stadt, die wegen ihrer strategischen Lage an der Adria schon seit der Römerzeit wichtig war. Die Meerenge ist nach diesem Ort benannt. Die Hafenstadt Brindisi, das Tor zum Orient. Hier endet die berühmte römische Straße "Via Appia".
Gallipoli mit ihrer interessanten Altstadt ist auf einer Insel gebaut. An einem der wunderschönen Sandstrände am Ionischen Meer machen wir jetzt lange Mittagspause. In Lido Conchiglie, nördlich von Gallipoli, unweit vom schneeweißem Strand unter einer große Pinie. 

 

Nun liegen wir entspannt im Schatten, essen die Brötchen, schreiben die ersten Notizen auf, besprechen einige Passagen der letzten Kilometer, wichtige Verhaltensregeln für eine sichere Fahrt mit dem Gespann und die Tiere durch verschiedene Verkehrssituationen.
Wir haben zwar lange trainiert, aber es gibt immer Neues zu lernen und das wird lange so bleiben. Während der heißen Mittagsstunden werden die Hunde nicht laufen. Das muss auch nicht sein. Der Tag ist lang, und wir haben viel Zeit, um die 30 km schön durch den Tag zu verteilen. Das ist die Menge der durchschnittlichen Tageskilometer, die wir uns selbst gesetzt haben. So ist es für die Hunde wie das tägliche lange Gassi gehen.
Wir fahren langsam, im Schnitt sind es gerade mal acht km/h. Also etwas schneller als ein Mensch läuft, und wir machen viele Pausen. Es soll keiner aus der Puste kommen. Nur so werden wir die nächsten 12.000 km und 14 Monate durchstehen können! 

 

Nachdem sich alle genug ausgeruht haben, fahren wir gegen 16 Uhr, durch die Badeorte Santa Maria al Bagno und Santa Caterina, weiter.
Die vielen Urlauber haben die Strände und die Promenaden, wie die Ameisen um ein Stück Brot, regelrecht voll in Anspruch genommen. Da wir nun direkt an der Küste fahren, bekommen wir das hautnah mit.
Die meisten kommen aus Norditalien, aber es gibt auch viele Deutsche, Schweizer, Franzosen und Holländer. Sie schauen und zeigen auf uns, viele lächeln und sprechen uns während der Fahrt an, so dass wir anhalten müssen, um Preis zu geben, was es mit unserem Auftreten auf sich hat. Wieder lösen wir Begeisterung aus. Hände werden geklatscht, Daumen nach oben gezeigt und andere Zeichen des Zuspruches. Fragen wie:
·         "Wo kommt ihr her?",
·         "Warum seid ihr mit den Hunden unterwegs?",
·         "Was wollt ihr erreichen?"
werden gestellt. Ich versuche sie in verschiedenen Sprachen zu beantworten, aber wir merken schon, wohin die Interessen der Leute tendieren. 
 Gegen 19 Uhr 30 verlassen wir dann unauffällig die Landstraße und schieben die Räder vorsichtig in einen Olivenhain. Weit weg von der Straße, so dass uns keiner entdecken kann. Ich vermute hier einen schönen ruhigen Platz. Hier werden wir wahrscheinlich die erste Nacht verbringen.

Zuerst erkunde ich die Gegend. Ich achte darauf, dass wir niemanden durch unsere Präsenz stören und dass auch wir nicht gestört werden.
Der Platz scheint okay zu sein. Ich werde hier das kleine Zelt zwischen einem Olivenbaum und einem Caseddhu aufschlagen.
Das ist eine typische salentinische, mehrere Jahrhunderte alte Rundbaukonstruktion. Diese sind im ganzen Salento verteilt. Gebaut haben sie die Bauern aus den Steinen ihrer Felder, ohne Mörtel.
Dieses Trockenmauerwerk diente zum Schutz vor der Witterung und zeitweise auch als Wohnstätte, wenn sie über mehrere Tage auf ihren Feldern arbeiteten.
Das kleine Zelt aufzuschlagen kostet mich keine Mühe, denn ich habe diesen Vorgang schon mindestens 150-mal gemacht. 2006 bei meiner letzten Fahrradreise.
Danach platzieren wir die Räder mit den Hängern neben dem Zelt und packen sie teilweise ab. Die Hunde werden in unmittelbarer Nähe, an einer speziellen Bodenhalterung mit einem Gewinde, angeleint.
Der erste Tag ist überstanden. Wir sind rund 29 km weit gekommen, hatten keine größeren Probleme, sind nicht verhaftet worden, nicht ausgeraubt und keiner hat uns geschlagen. Das ist schon mal gut.
Nebenher haben wir unsere Botschaft gut verkauft. Insgesamt ein positiver Tag. Die ganzen Daten und Eindrücke schreiben wir in unser Bordbuch auf. Nach 20 Uhr 30 wird es dunkel. 
 

Wir haben alle gegessen und es uns im Zelt gemütlich gemacht. Fido, Mona und Whisky schlafen im Freien. Das ist nicht schlecht sondern gut, denn auch nachts geht die Temperatur nicht unter die 23 Grad Marke runter.
Wir schlafen zufrieden ein. Morgen ist der nächste Tag der "Europatour auf 4 Pfoten".

Tag 1 - km 29
17. August 2008


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